Die neue Biervielfalt in Neukölln
(Teil 1 von 2)
Bier ist mehr als ein Getränk – das beweist in Berlin nicht zuletzt der Bezirk Neukölln mit seiner lebendigen Spätikultur. Beim Bier kommen Menschen zusammen, werden Probleme gelöst und entstehen Freundschaften– auch wenn mancher Connaisseur jüngerer Generation heutzutage eher Pale Ale als Pils aus dem Zapfhahn fließen lässt. Teil 1 einer Serie über Bierkulturin und um Neukölln.
Sie war eine Berliner Institution, doch im Jahr 2005 schlossen sich die Tore der historischen Berliner-Kindl-Brauerei auf dem Rollberg. Seitdem wird das wahrscheinlich bekannteste Berliner Bier in einer modernen Fabrikanlage in Lichtenberg weiterproduziert. An Stillstand ist auf dem ehemaligen Produktionsgelände trotzdem nicht zu denken.
Historisches
Bereits 1872 entschied sich eine Gruppe Neuköllner Gastwirte, ihre eigene Brauerei zu eröffnen. Sie wollten untergäriges Bier herstellen, welches zu dieser Zeit im Vergleich zum weitverbreiteten obergärigen Bier eine Innovation und Rarität darstellte. Das Konzept ging auf und der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Der damalige Braumeister Carl Labitzke experimentierte mit verschiedenen Zusammenstellungen der Zutaten und es entstand das nach Pilsner Brauart hergestellte „Berliner Kindl“, das sich rasch größter Beliebtheit erfreute. Bald schon übernahm die Berliner Kindl Brauerei AG weitere Brauereien in und um Berlin.
Die Weltwirtschaftskrise und die Zeit des Nationalsozialismus taten dem Erfolg des damals viertgrößten Brauhauses Deutschlands keinen Abbruch. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste die Brauerei jedoch einen Teil ihrer Produktionsstätten als Reparationszahlung an die Sowjetunionabgeben, und die deutsch-deutsche Teilung verhinderte in der Folge einen erneuten wirtschaftlichen Aufschwung der Brauerei. Das Unternehmen orientierte sich gen Westen und erwarb drei kleinere Brauereien in Norddeutschland. Schließlich aber musste der Standort Neukölln 2005 endgültig schließen.
Aktuelles
Das ehemalige Sudhaus im Baustil der Neuen Sachlichkeit steht teilweise unter Denkmalschutz und bleibt somit erhalten. Das Areal wurde nach dem Umzug der Brauerei für verschiedenste Zwecke genutzt. So existiert dort seit 2011 das Zentrum für zeitgenössische Kunst KINDL. Auch für Clubbetreiber ist die alte Fabrikhalle reizvoll – der queere Club „SchwuZ“ und zwischenzeitlich auch der „Palast Neukölln“ fanden auf dem Gelände ein Zuhause. Der ehemalige Lagerkeller der Kindl-Brauerei kann im Rahmen einer Tour des Vereins Berliner Unterwelten e. V. besichtigt werden.
Seit 2009 wird im Neuköllner Sudhaus auch wieder Bier gebraut. Die Privatbrauerei Rollberg, die im zweiten Teil der Serie vorgestellt wird, hat sich im Fabrikgebäude einen Platz gesichert und produziert seitdem inmitten der historischen Kulisse frisches Bier in Bio-Qualität.
Mit Selbstgebrautem gegen den Mainstream
Aber nicht nur im alten Sudhaus wird fleißig gemaischt und gehopft – in Neukölln boomt die Craft-Bier-Produktion. Die Motivation der Braumeister ist dabei immer dieselbe: Ein vielfältiges Angebot schaffen, das sich nicht an kommerziellen Trends orientiert. Auf die Qualität statt auf die Masse kommt es ihnen an. Man möchte sich von den anonymen Großkonzernen abgrenzen und Biere mit Persönlichkeit herstellen, die regional und biologisch nachhaltig sind und sich nicht dem Geschmack der breiten Masse anpassen.